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Tiefes Geheimnis, bleibendes Rätsel.

© Caroline Portes de Bon
Matthias Goerne singt, begleitet von Daniil Trifonov, Schubert. Sein Debüt als Liedsänger im Musikverein gab Matthias Goerne 2001 gleich im Großen Musikvereinssaal – und das in großem Stil. Alfred Brendel, damals 70, hatte sich den phänomenalen jungen Sänger gewünscht, um mit ihm wieder einmal Schubert zu musizieren. Nun, fast ein Vierteljahrhundert später, singt Goerne hier die drei Schubert-Zyklen mit Daniil Trifonov als Partner am Klavier.

Von Joachim Reiber

17.10.2025

„Komm! ins Offene, Freund!“ Ein Wort von Hölderlin, mit Recht vielzitiert – und wie sehr passt es auch auf Franz Schubert! Sie waren Zeitgenossen, und doch trafen sie einander nicht, auch nicht in der Kunst. Schubert griff nie zu einem Text von Hölderlin. Aber ganz nah war er dem Zug ins Freie und Weite, Ungeschützte und Offene. Wer Schubert singt, muss und darf sich davontragen lassen. „Dass man ein Rätsel lässt, dass man nicht versucht, immer alles sagen zu müssen und mit Eindeutigkeit erklären zu wollen“, das sei ihm wichtig, sagt der berufene Schubert-Sänger Matthias Goerne. Das Geheimnis soll bleiben. Die „Winterreise“, hebt Goerne hervor, endet mit einer Frage. „Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn?“ Eine Antwort wird nicht gegeben. Vielleicht verhallt die Frage im Nichts? Vielleicht aber findet sie Widerhall und schafft die Brücke zu einem anderen, führt heraus aus Isolation und eisiger Einsamkeit? Auch Schuberts allerletztes Lied gleitet ins Offene, auch „Die Taubenpost“, die der Verleger Haslinger an den Schluss des „Schwanengesangs“ stellte, mündet in eine Frage: „Sie heißt: die Sehnsucht – kennt ihr sie? – die Botin treuen Sinns.“ Ganz leicht kommt die Musik in diesem Lied daher, tänzerisch und geradezu jazzig spielt der Klavierpart mit dem Swing von Synkopen – „dabei“, sagt Matthias Goerne, „ist es eigentlich das traurigste Stück des sogenannten ,Schwanengesangs‘. Denn die Brieftaub’ fliegt aus, kommt aber nicht zurück. Und der, der sie entsandt hat, bleibt allein, allein mit seiner Sehnsucht, der ewig unerfüllten. Die Rückantwort fehlt.“

Frei für all das Tiefe, das sich so bestimmt nicht mehr sagen lässt. Die Schubert-Liedzyklen mit Matthias Goerne und Daniil Trifonov

Komm! ins Offene, Freund! Wenn ein Künstler wie Matthias Goerne diesem Schubert’schen Zug folgt, braucht er Partner vom selben Geist und mit demselben Mut. „Größtmögliche Unabhängigkeit von mir!“, das sei es, sagt Goerne, was er sich im Idealfall von Pianistinnen und Pianisten an seiner Seite erwarte: eine Unabhängigkeit, versteht sich, die ihrerseits das ideale Potenzial fürs Dialogische bietet. Zwei freie Individuen, eins im künstlerischen Grundverständnis, agieren da frei miteinander, keiner dem anderen untertan. Die Probenarbeit legt die Wegmarken der gemeinsamen Reise fest – und Matthias Goerne nimmt es damit sehr genau, vor allem, was Temporelation und Rhythmus betrifft. „Das sind“, erläutert er, „ganz starke Parameter in der Musik – und enorm wichtig bei einem Zyklus wie der ,Winterreise‘. Das Tempo des ersten Lieds legt das der folgenden 23 fest.“ Von dieser stabilen Achse aus sind dann Ausbrüche ins Extrem möglich, von hier aus kann man sich locken lassen: hinaus ins Offene.

Mit Daniiel Trifonov, einem der weltweit besten Instrumentalisten, hat Goerne nun wieder einen liedbegeisterten Konzertpianisten an seiner Seite. Was wäre schließlich die Klavierkunst ohne Berührung mit der Stimme? Und wie sollte man Schubert-Sonaten spielen, ohne mit Schuberts Liedwelt vertraut zu sein? Goerne ist für solche Begegnungen der bestmögliche und daher vielgesuchte Partner. Jewgenij Kissin und Christoph Eschenbach gaben Liederabende mit ihm im Großen Musikvereinssaal. Ganz besonders denkwürdig aber: Goernes Debüt als Liedsänger in diesem Haus, 2001 an der Seite von Alfred Brendel. Der 70-jährige Meister, legendär gerade auch als Schubert-Interpret, hatte sich den damals 34-jährigen Matthias Goerne gewünscht, um im Musikverein wieder einmal Schubert-Lieder zu musizieren. Wiens kundige Musikfreundinnen und Musikfreunde wussten, welches Erbe Goerne hier antrat, waren es doch in den 1950er und 60er Jahren Sänger wie Julius Patzak, Eberhard Waechter und vor allem Hermann Prey, mit denen Brendel im Musikverein seiner Liebe zum Schubert-Lied frönte. Heute, fast ein Vierteljahrhundert später, weiß man, wie recht Brendel mit seiner Wahl hatte: Goerne hat sich in all den Jahren als einer der feinsten und berührendsten Liedsänger der Musikwelt bewährt.

Schubert bildet da natürlich ein Herzstück – Schubert, möglichst umfassend, möglichst intensiv. In einem großen Aufnahmeprojekt hat Goerne auf einem Dutzend CDs auch weniger Bekanntes präsentiert, Schubert-Lieder, die den vielgesungenen in nichts nachstehen. Aber freilich: „Das Sensationelle an den Zyklen ist die Geschlossenheit und der enorm konsequente, auch literarisch interessante dramaturgische Faden, der die Stücke miteinander verbindet.“ Der literarische Blick spielt überhaupt eine bedeutende Rolle in Goernes Beschäftigung mit dem Lied. Er liegt ihm, wie man sagen darf, von Haus aus nahe: Beide Eltern waren Dramaturgen, der Vater, einige Jahre in der Goethe-Schiller-Forschung tätig, leitete schließlich in Dresden die Schauspielhäuser – in dieser Familie war das Dichterische in allen Facetten daheim.

Begeistert kann Goerne darüber sprechen, wie in der „Winterreise“ allein die Liedtitel markante Schlüsselworte für die Deutung setzen. „Einsamkeit“, „Letzte Hoffnung“, „Täuschung“, „Mut!“. Schon in diesen Details zeigt sich die Kunst eines Dichters, den Goerne für notorisch unterschätzt hält: Wilhelm Müller. Prominente Unterstützung käme da von niemand Geringerem als Heinrich Heine. „… es drängt mich sehr, Ihnen zu sagen“, schrieb Heine 1826 an Müller, „daß ich keinen Liederdichter außer Goethe so sehr liebe wie Sie … Ich bitte, bleiben Sie mir gewogen, werden Sie nie irre an mir, und laßt uns in gemeinschaftlichem Streben alt zusammen werden.“ Dazu sollte es nicht kommen. Müller starb im Jahr darauf, erst 33 Jahre alt.

Wie nah war diese Generation doch dem Tod! Aber war sie auch sterbensmüde? Dem Tod verschwistert durch die Kunst? Bei der „Schönen Müllerin“ ist das Rauschen des Bächleins ein tödlicher Sog. Die Geschichte des Müllerburschen – das steht für Goerne außer Frage – endet im Selbstmord. In der „Winterreise“ aber führt der Weg, diese so düstere, todbeschattete Reise, ins Offene. „Eine Hoffnung tut sich auf“, sagt Goerne über den „Leiermann“, „die Hoffnung, dass die Begegnung mit diesem ,wunderlichen Alten‘, diesem Außenseiter, zu einer neuen Verbindung, einer neuen Gemeinsamkeit im Leben führen könnte. Wir wissen es nicht. Aber die Hoffnung ist da. Und das kann man auch autobiographisch sehen, im Blick auf Schuberts Leben. Denn so schwer es für ihn war, gerade in seinen letzten, auch von Krankheit geprägten Jahren – so gab es doch Anerkennung für ihn und Liebe von ihm nahen Menschen. Und eine enorm positive Kraft, die bis zum Tod in ihm gelebt und gewohnt hat.“

© Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.

Ja, es ist und bleibt ein Geheimnis, wie Kunst und Leben ineinander spielen. Draußen vor dem Tor lebte Schubert in seinen letzten Monaten. Sein Bruder Ferdinand, „Trockenwohner“ in einer noch feuchten, billigen Neubauwohnung, hatte den schon Kränkelnden aufgenommen – eine triste, elende Szenerie, die man noch heute erspüren kann, wenn man Schuberts Sterbewohnung in der Kettenbrückengasse besucht. Unfassbare Musik entstand hier: transzendent, überirdisch, himmlisch wie das C-Dur-Quintett. Doch der, der sie schrieb, war ein junger Mensch voller Hoffnung, voller Zukunftspläne. Wann denn endlich sein Trio erscheine, wollte er ungeduldig von seinem Verleger wissen. Und er kündigte Neues an: „Auch habe ich mehrere Lieder von Heine aus Hamburg gesetzt, welche hier außerordentlich gefielen …“ Die Berührung mit diesem Dichter setzte Unerhörtes in ihm frei, „die Wucht, das Dynamit der Sprache“, sagt Matthias Goerne, „öffnete nochmals eine neue Dimension in Schuberts Kunst des Komponierens.“

Schubert hat Heine nicht „vertont“ – das wäre der falsche Begriff für das, was aus dem Text bei Schubert entsteht. Ein Gedicht wie Heines „Ihr Bild“ jedenfalls, sagt Goerne, „bedarf überhaupt keiner Art der Komplementierung. Es ist in sich vollendet, genial auch darin, dass es zutiefst Menschliches so zum Ausdruck bringt, dass jeder, der es liest, den Eindruck hat, er könne es selbst geschrieben haben: weil er sich selbst darin widergespiegelt sieht.“ Und keine Frage: Auch Schubert berührt und bewegt auf diese unmittelbare Weise. Die abgründig existenzielle Dimension öffnet sich bei ihm geradezu radikal mit einer „Verweigerung von Musik. Ganz karg“, sagt Goerne, „ist dieser Anfang in ,Ihr Bild‘: zweistimmig, in leeren Oktaven, dann erst gewinnt die Melodie Raum, eine schöne, aber auch furchtbar traurige Melodie, die nur ein klein wenig gestützt wird vom Klavier.“ Dann der Ausbruch ins Forte: der Schmerz des Verlustes, durchdringend in der musikalischen Wucht des scheinbar Einfachen. Wie bei Heine. Und doch ganz eigenständig: vom Wort ausgelöst, aber dann auch gelöst von ihm. Frei für all das Tiefe, das sich so bestimmt nicht mehr sagen lässt.

Matthias Goerne ist der Sänger für diese Kunst. Mit Daniil Trifonov macht er sich nun wieder auf den Weg. Drei Abende im Musikverein als Seelenreise mit Schubert. Komm! ins Offene, Freund!

Montag, 24. November 2025

Matthias Goerne I Bariton
Daniil Trifonov I Klavier

Franz Schubert
Winterreise. Liederzyklus nach Gedichten von Wilhelm Müller, D 911

Mittwoch, 26. November 2025

Matthias Goerne I Bariton
Daniil Trifonov I Klavier

Franz Schubert
Die schöne Müllerin. Liederzyklus nach Gedichten von Wilhelm Müller, D 795

Freitag, 28. November 2025

Matthias Goerne I Bariton
Daniil Trifonov I Klavier

Franz Schubert
Sonate für Klavier B-Dur, D 960
Schwanengesang, D 957

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