Rhythmus, Reim und Revolte
Von Markus Siber
21.10.2025
Sie haben bei Ihrem letzten Auftritt im Musikverein mit Augenzwinkern angemerkt, dass Deutschlehrer:innen zu Ihrem treuesten Publikum zählen. Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren literarischen Performances bisher mit Schülerinnen und Schülern gemacht?
Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer sind für mich immer die Verbündeten oder Dolmetscher in die „zivile“ Welt gewesen. Das war schon so, als ich selbst in die Schule ging. Sie sind die Menschen, die Schülern Theater und Literatur erklären und zugänglich machen. Und wenn ich als Schauspieler vor Schülern und Kindern aufgetreten bin, habe ich immer die besten Geschichten erlebt! Ich liebe es, vor jungen Menschen zu spielen, weil sie so offen und frei auf das Spektakel reagieren. Das inspiriert mich sehr. Auf einer Schulbühne oder in einem Klassenzimmer zu spielen macht die Kraft von Theater in ganz besonderem Maße spürbar.
Wenn Sie Jugendliche auf der Straße oder im Park für Goethe und Schiller gewinnen müssten: Wie würden Sie argumentieren?
Ich würde ins Treffen führen, dass Goethe und Schiller ja selbst mal jung und wirklich wild waren. Zum Beispiel der Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ von Goethe war so erfolgreich und damals so shocking wie heute ein Hollywood-Blockbuster oder eine Serie, die jeder sehen will. Es ist das Buch eines 24-Jährigen, das die Welt verändert hat! Goethe war alles andere als spießig oder langweilig und hat mit den ehrwürdigen Statuen, die man von ihm kennt, erstmal nicht so viel zu tun …
Vielen Menschen, nicht nur den jungen, fehlt bei der Lektüre von anspruchsvoller Literatur heutzutage der lange Atem, weil die Aufmerksamkeitsspannen immer kürzer werden. Ist das bei Ihnen grundsätzlich anders? Können Sie drei Stunden am Stück in einem Buch versinken?
Mir geht’s da zunächst sehr ähnlich. Ich bin auch so ein Sack Flöhe, der nicht ruhig sitzen kann. Aber wenn ich mich zwinge hineinzukommen, werde ich immer sehr reich beschenkt. Während meiner Schulzeit gelang ein schneller Zugang oft im Gespräch mit einem guten Deutschlehrer. Und jetzt sehe ich mich mit meinen Vorführungen auch als eine Art Vermittler oder Kontaktpunkt zwischen jungen Menschen und dem Paralleluniversum der literarischen Hochkultur … Eine meiner Leitsprüche lautet: „Keine Angst vor Weltliteratur!“ Und dem versuche ich so oft wie möglich nachzukommen.
Versmaß und Reim – was macht den Reiz für Sie aus?
Das ist Musik, Sprechtanz. Die Atmung in der Rhythmik der Sprache zu führen, sich in den Fluss der Reime zu werfen ist schlichtweg ein Hochgenuss. Most refreshing! Eine körperliche Freude!
Künstliche Intelligenz führt zu einer Nivellierung der Sprache, der sprachliche Ausdruck scheint zu verkümmern. Ist dem noch Einhalt zu gebieten?
Das stimmt. Es ist erschreckend, wie sehr sich unsere Sprache durch KI und Smartphones rasant vereinfacht und fast auflöst. Die beste Methode, sich davor zu bewahren, ist für mich, immer wieder ein Gedicht zu lernen. Das kann ich nur empfehlen. Es kann ja auch nur ein kleines sein, zum Beispiel Goethes „Erlkönig“. Das wird dann wie eine Art Zauberspruch zum Schutz vor dem Verkümmern unserer Sprache.
Sie begreifen Sprache ja vielfach als Musik mit all ihren Klangfarben und Rhythmen – welcher Dichter ist für Sie der größte Komponist?
Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit. Ich finde in allen Zeiten und Epochen tolle Wortschöpfer. Aber wenn Sie mich jetzt so fragen, würde ich spontan „Die Glocke“ von Schiller als erfrischendstes und labendstes Sprechkonstrukt nennen, das mir bis jetzt begegnet ist.
Können Sie sich, wenn Sie in Ihre Schulzeit zurückblicken, noch an Ihren ersten Kontakt mit Schiller und Goethe erinnern?
Das ist unvergesslich. Der „Totentanz“ von Goethe hat mein Leben verändert. Ich habe diese bildhafte, relativ kurze Ballade für mich gelernt und bei allen möglichen Anlässen vorgetragen und so meine ersten schauspielerischen Erfahrungen gesammelt.
„Die ich rief, die Geister / Werd’ ich nun nicht los“ – kennen Sie die Situation?
Das ist doch die Wurzel aller menschlichen Dramen. Vom ganz Kleinen bis zum ganz Großen. Mir fällt spontan die Erfindung von Plastik ein. Das war vielleicht einmal eine Erleichterung für die Menschheit, aber jetzt erstickt die Welt daran. Goethes Zeilen aus dem „Zauberlehrling“ bringen diese Not perfekt auf den Punkt.
Dank des medizinischen Fortschritts verlängert sich die Lebensspanne. Bis wann ist man Ihrer Einschätzung nach jung?
Man kann, glaub’ ich, sein ganzes Leben lang jung bleiben, wenn man das möchte – im Kopf und im Herzen.
Würden Sie von einem Zaubertrank nippen, der ewige Jugend verspricht?
Ich lerne lieber ein paar Gedichte auswendig, die haben auch verjüngende Zauberkräfte.
Gerade Balladen wie „Die Bürgschaft“ kommen noch Menschen in den Sinn, deren Erinnerungsvermögen im Alter schon stark beeinträchtigt ist. Woran liegt das?
Es ist wirklich faszinierend, dass Schillers Sätze so tief gehen und im Kopf erhalten bleiben. Ich hab’ das als Zivildiener im Altersheim früher oft beobachtet. „Die Bürgschaft“ kannte da gefühlt jeder. Vielleicht liegt das daran, weil man damals in der Schule gezwungen wurde, das zu lernen? Oder weil es noch nicht so viel Ablenkung gab und das Gehirn das deshalb besser konserviert hat?
Welchen Text werden Sie vermutlich auch noch mit 100 Jahren problemlos aufsagen können?
Den „Totentanz“ von Goethe. Das war mein allererstes Gedicht, und das wird mein Körper nie vergessen.
Sie gelten im Ringen um Wahrhaftigkeit als extremer Künstler, der bis ans Äußerste geht. Gibt es etwas, das selbst Sie als extrem bezeichnen würden?
Es geht für mich immer um die Bereitschaft, sich der Geschichte, die es zu erzählen gilt, ganz hinzugeben. Und in der Verbindung zwischen Musik und Literatur sehe ich ein ganz weites und wildes Betätigungsfeld. Da haben mir meine Band und andere befreundete Musiker wirklich eine neue Welt geschenkt. Unsere Vertonung der „Glocke“ von Schiller, die wir auch auf CD aufgenommen haben, war für mich das Extremste, was ich mit meiner Band bis jetzt erreicht habe.
Goethes „Totentanz“ hat mein Leben verändert. Ich habe diese bildhafte, relativ kurze Ballade für mich gelernt und bei allen möglichen Anlässen vorgetragen und so meine ersten schauspielerischen Erfahrungen gesammelt.
Wie lange brauchen Sie nach einer Aufführung, um wieder halbwegs zur Ruhe zu kommen? Ist da auf baldigen Schlaf zu hoffen? Wie kommen Sie wieder runter?
Zwei, drei Stunden dauert das schon in jedem Fall. Und natürlich habe ich da schon meine Methoden, um mich zu beruhigen. Für mich ist kaltes Wasser die beste Lösung. Ein kaltes Bad und kaltes Mineralwasser nach einer heißen Vorstellung bewirken Wunder.
Ihr Leben wirkt, zumindest nach außen hin, hastig. Wofür nehmen Sie sich Zeit?
Es wirkt vielleicht hastig, weil ich so viel unterwegs bin, aber sobald ich angekommen und auf der Bühne gelandet bin, denke ich immer wie Goethes Faust: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“
Halten Sie regelmäßige Mahlzeiten ein? Wie ernähren Sie sich?
Das ist das Um und Auf für mich. Ein klarer Ernährungsplan und regelmäßige Essenszeiten geben mir den nötigen Halt in stürmischen Zeiten … Am liebsten asiatisch, vegetarisch, zweimal am Tag. Keine Zwischenmahlzeiten und kein Alkohol.
Was bringt Sie auf die Palme?
Die Lust auf Kokosnusswasser! Leider gedeihen in Österreich keine Kokosnüsse – sonst würde ich wohl regelmäßig auf die Palme klettern, um mich an diesen herrlichen Früchten zu laben.
Sonntag, 30. November 2025 | 11:00 & 13:00
Philipp Hochmair I Rezitation
Hanns Clasen I Gitarre, diverse Instrumente und Sound Design
The Zauberlehrling
Balladen für junges Publikum ab 10 Jahren