Neues Funkeln für die Schätze Kaiser Karls VI.
Von Harald Hebling
25.10.2025
Die Kaiserliche Schatzkammer im Wiener Schweizerhof ist ein Touristenmagnet. Die Hofburgkapelle liegt direkt nebenan. Dennoch gibt es Schätze, die weder in der Schatzkammer zu bestaunen sind, noch in der Kapelle erklingen, wo wichtige Kirchenmusikwerke bis heute auf höchstem Niveau gepflegt werden. Ein Glücksfall für Claudio Osele, der in der Vergangenheit schon oft bewiesen hat, dass er den richtigen Riecher für „historische Juwelen“ besitzt, insbesondere auf dem Opernsektor: Für Cecilia Bartoli war Osele musikalischer Ratgeber, eine Zusammenarbeit, die zu vielbeachteten CD-Projekten wie dem „Vivaldi Album“ führte und Vivaldis Opern erstmals auch einem breiten Publikum bekannt machte. Komponisten wie Leonardo Vinci und Nicola Antonio Porpora sind seit „Lava“, dem Neapel gewidmeten Projekt mit Sopranistin Simone Kermes, nicht mehr nur Kenner:innen ein Begriff. Schon einmal stammte zudem das zu neuem Leben erweckte Notenmaterial aus dem hauseigenen Archiv des Musikvereins – als Claudio Osele mit Johann Adolf Hasses „La Semele“ 2018 sein Debüt bei den Festwochen der Alten Musik in Innsbruck gab.
Bereits für das Projekt „Opera Proibita“ edierte Claudio Osele mehrere Arien von Antonio Caldara, jedoch aus dessen römischer Zeit, in der – in Umgehung des Opernverbots – wichtige Oratorienwerke entstanden: „Es ist erstaunlich, dass von einem so unglaublich berühmten Mann wie Antonio Caldara, der ja als Vizekapellmeister an der Seite von Johann Joseph Fux in Wien unzählige Opern komponierte, kaum etwas in einer gedruckten Edition vorliegt“, sagt Claudio Osele. In seiner Programmplanung für Wien folgte so nach dem kurzfristigen Gedanken, nur „eine kleine Serenade oder Kantate neu zu beleben“, rasch die Idee, große Arien ins Zentrum des Abends zu stellen – um zu widerlegen, dass „Barockoper einzig artistisches Feuerwerk ist“. Weit über hundert Arien hat Claudio Osele gesichtet, bei der Oper „Ciro riconosciuto“ nach einem Libretto von Pietro Metastasio stimmten die „Intensität“ und die „emotionale Tiefe“. Ebenso bei der Arie der Dorilao aus „Mitridate“. Ersteres Werk erklang am 28. August 1736 zur Feier des Geburtstags der Kaiserin Elisabeth, der Gemahlin Karls VI. Gesungen wurde die Sopranpartie von Theresia Holzhauser, der Gattin des späteren Hofkomponisten Georg Reutter d. Jüngere. Caldaras „Mitridate“ nach einem Libretto von Apostolo Zeno wurde bereits 1728 im Corte Cesarea uraufgeführt – zum Namenstag des Kaisers: „Es fällt auf“, hebt Claudio Osele hervor, „dass Caldara oftmals Soloinstrumente in die Arien integriert hat. In diesem Fall wird die Arie beinahe zu einem Violoncellokonzert. Caldara hatte also in Wien unglaublich viele gute Musiker zur Verfügung, was an der Komplexität der Violoncellolinie klar abzulesen ist.“
Es ist erstaunlich, dass von einem so unglaublich berühmten Mann wie Antonio Caldara, der ja als Vizekapellmeister an der Seite von Johann Joseph Fux in Wien unzählige Opern komponierte, kaum etwas in einer gedruckten Edition vorliegt.
In einer einzigen Arie, die aus der 1720 in Salzburg erstmalig erklungenen Caldara-Oper „L’inganno tradito dall’amore“ stammt, darf jedoch auch hochvirtuose Koloratur ertönen: „ein klein wenig Entertainment“, so Osele. „Originalität“ und „Ausdrucksstärke“ prägen sein Programm, das sich der Verantwortung stellt, „dem Publikum klarzumachen, dass es sich um einige der besten Komponisten ihrer Zeit handelte. Immerhin befand sich die Hofkapelle zur Zeit Karls VI. in einer Größendimension, die sie später nie wieder erreichen sollte: Es ist schön, Händel zu spielen, Vivaldi-Opern, aber es wäre schade, dabei die große Tradition vor Ort zu vernachlässigen. Gerade hier in Wien gibt es unglaublich viel zu entdecken. Wer kennt Giuseppe Porsile? Immerhin war er Hofkomponist!“ Darüber hinaus fungierte dieser als Gesangslehrer von Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel, der Gemahlin von Kaiser Karl VI. Bereits in Barcelona unter Karl III., der erst nach dem Tod seines Bruders Leopold I. den Kaiserthron in Wien besteigen konnte, war Porsile ein geschätzter Mann, dem wichtige Aufgaben anvertraut wurden.
Wie anders wäre die Musikgeschichte zudem verlaufen, hätte Antonio Vivaldi nicht nur 1728 in Triest als glanzvolle Bewerbungsunterlage zwölf handschriftliche Violinkonzerte an Kaiser Karl VI. überreicht, sondern wäre er später auch Hofkomponist geworden? Immerhin munkelten Hofbedienstete, dass sich der Kaiser weit länger mit Vivaldi ausgetauscht hätte als mit den ebenfalls anwesenden venezianischen Diplomaten: „Die Anstellung verhinderte bedauerlicherweise der Tod des Herrschers. Und kurze Zeit später starb zudem Vivaldi in Wien. Wir wissen auch nicht, ob der Name ,Il favorito‘, wie das Violinkonzert e-Moll in der später gedruckten Sammlung op. 11 genannt wurde, bedeutet, dass das Konzert dem Kaiser ausnehmend gut gefallen hat, oder ob es zu Vivaldis Lieblingsstücken zählte. Beides ist gut denkbar.“ Gespielt wird das selten zu hörende Konzert von Alessandro Ciccolini, dem langjährigen Konzertmeister des Ensembles Le Musiche Nove. Der Name des von Osele „zur Neuentdeckung und Wiederbelebung historischer Werke“ ins Leben gerufenen Ensembles ist von Giulio Caccini entlehnt, von dessen Sammlung mit der Bezeichnung „Le nuove musiche“.„Habsburg Splendour“ lautet das aktuelle Werbesujet der Schatzkammer Wien. Der höfische Glanz führte auch immer in Opern- oder Konzertsäle: Kaiser Karl VI. komponierte wie seine Vorgänger, betätigte sich gelegentlich als Dirigent, und nicht zuletzt war er ein geschätzter Cembalist. Oper, „das bedeutete im Hause Habsburg vielfach, selbst auf der Bühne zu stehen“, ob in der Hofburg oder immer wieder auch im sommerlichen Refugium, dem Schloss Favorita, an dessen Stelle heute das Theresianum steht. Gerne durfte dort zu Namenstagen oder Geburtstagen im Freien musiziert werden. Insbesondere Karls Tochter – keine Geringere als die damalige Erzherzogin Maria Theresia – trat, bevor es ihr die vielfältigen Amtsgeschäfte unmöglich machten, gerne als Sängerin auf. Nachweislich und mit Vorliebe waren dies auch Caldara-Werke, etwa 1730 „Germana, il dì che splende“.
Dass für viele Aufführungen der ursprünglich gedachte Notentext abgeändert wurde, auch dies konnte Claudio Osele bei seiner Archivarbeit aufdecken: Es liegen nicht nur wichtige handschriftliche Partiturautographen im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, sondern viele Einzelstimmen derselben Werke in der Österreichischen Nationalbibliothek. Von einem großen Vorgänger Caldaras am Kaiserhof in Wien dagegen, Antonio Cesti, ist selbst das Hauptwerk „Il pomo d’oro“ nur in Teilen erhalten. Ihm zu Ehren findet in Innsbruck jährlich der Cesti-Gesangswettbewerb statt. Shira Patchornik, die erstmals mit Claudio Osele zusammenarbeitet, zählt zu den umjubelten Gewinner:innen. Die israelische Sopranistin konnte gleichzeitig den Publikumspreis für sich entscheiden sowie einen weiteren der bedeutendsten Alte-Musik-Wettbewerbe: den Concours Corneille in Rouen, Frankreich. Von der vielfältig talentierten Künstlerin stammt zudem das Libretto zu einer Kinderoper namens „Kind of Monster“.
Auch Osele hat bei seinen Recherchen eine Librettistin entdeckt: Francesca Manzoni. Diese schrieb den Oratorientext zu Giuseppe Porsiles „La madre de’Macabei“: „Dies ist eine hochdramatische Geschichte von einer Mutter, die mit ihren Kindern in den Tod geht. In der Musik ist aber gleichzeitig doch ein Hoffnungsschimmer zu vernehmen. Wie so oft in dieser Zeit spricht auch die Musik zu uns. Aber gleichzeitig müssen die Texte – einem Kaiser gleich – über allem stehen. Die klare Aussprache, Phrasierung, Bogenführung – all dies muss Grundlage sein für die individuelle Interpretation. Im Heute, aber historisch informiert.“
Sonntag, 16. November 2025
Le Musiche Nove
Claudio Osele | Dirigent
Shira Patchornik | Sopran
Alessandro Ciccolini | Violine
Antonio Caldara und die Hofkapelle in Wien
Werke von Antonio Caldara sowie von Giuseppe Porsile, Antonio Vivaldi und Nicola Matteis d. J.