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Ein konservativer Avantgardist. Kurt Schwertsik zum 90. Geburtstag

© Julia Wesely
Er hat die Musik des 20. Jahrhunderts das Schmunzeln gelehrt und ist seinem Ton bis heute treu geblieben: Anlässlich des 90. Geburtstags von Kurt Schwertsik widmet das Ensemble Kontrapunkte dem musikalischen Pionier aus Österreich ein Festkonzert.

Von Claus-Christian Schuster

30.10.2025

Kurt Schwertsik ist noch nicht zehn Jahre alt, als der Albtraum der nationalsozialistischen Weltherrschaft in sich zusammenbricht. Das Terrain, das sich dem Knaben darbietet, ist ein zerbombtes Trümmerfeld, auf dem eine neue Welt geschaffen werden muss.

Welche Gnade, dass der Bub vom ersten Tag seines Lebens an mit unverwüstlichem Optimismus und Humor gesegnet ist! Und welcher Segen für die Nachgeborenen, dass er sich diesen Schatz über neun Jahrzehnte hindurch unversehrt bewahrt und für uns alle fruchtbar gemacht hat! 1988 notierte er: „… zeitgemäß genügt nicht! Vielmehr liegt alles daran, der Zukunft ins Auge zu sehen: unsere Erde bewohnbar zu erhalten! In diesem Sinne sollte jeder Avantgardist auch konservativ sein.“

So fordernd und schwierig die Jahre nach 1945 auch waren – für ein hellwaches, neugieriges und wissensdurstiges Kind wie Kurt hätte es kaum eine anregendere und ergiebigere Zeit geben können. 1946 fanden in Darmstadt zum ersten Mal jene „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“ statt, deren Ziel es war, die in den Jahren des braunen Terrors durchschnittenen Verbindungen zur Außenwelt neu zu beleben. Schon 1955 nahm Kurt Schwertsik, angeregt von aufgeschlossenen und vorurteilsfreien Lehrern wie Karl Schiske, das erste Mal an diesen Kursen teil und kam dabei in Kontakt mit Pierre Boulez und Bruno Maderna sowie auch mit Hans Werner Henze, der sich aber gleich danach aus Darmstadt zurückzog. 1957 und 1958 war der nur um wenige Monate jüngere Helmut Lachenmann Schwertsiks Zimmerkollege, und das letztere Jahr brachte beiden eine erste fesselnde Begegnung mit John Cage. In den Jahren 1959 bis 1962 war dann Karlheinz Stockhausen der Fixpunkt von Schwertsiks Besuchen in Darmstadt-Kranichstein. Stockhausens burlesk-schriftlicher Aufforderung „Beehren Sie uns bald wieder!“ (als Reaktion auf die teilweise Uraufführung der „Liebesträume“, op. 7, im Sommer 1962) kam Schwertsik aber nicht mehr nach: Denn inzwischen hatte er sich davon überzeugt, dass das Darmstädter Ambiente die Gefahr dogmatischer Rechthaberei in sich barg, die sich mit der ihm angeborenen weltoffenen Neugier nicht gut vereinbaren ließ. Nicht nur die dem Dadaismus wesensverwandte Bewegung „Fluxus“, die 1961 von New York aus ihren Siegeszug angetreten hatte, sondern auch die staunende Wiederentdeckung des Reichtums der lange Zeit beiseitegeschobenen Tradition bereicherten damals sein musikalisches Denken, und so schuf er sich in diesen Jahren allmählich ein sehr persönlich geprägtes, doch unleugbar tonales Idiom, dem er – ganz ohne Fanatismus und stets für Neues aufgeschlossen – bis heute treu geblieben ist.

© Julia Wesely

Der Nährboden von Schwertsiks Kreativität ist seine unersättliche Neugier, die alle Gebiete menschlichen Schaffens einbezieht: Sein Talent und sein von Kindheit an waches Interesse für die Malerei, die ihn nach wie vor beschäftigt; sein bewundernswert weitreichender literarischer und historischer Horizont; sein untrüglicher Instinkt für Ebenmaß und Proportion, Gewichtung und Balance, der nicht nur den in ihm schlummernden Architekten verrät, sondern auch in der Stimmführung seiner Werke überzeugend zutage tritt – all das sind ergiebige Quellen, die sein Schaffen über die Jahrzehnte zuverlässig geprägt und bereichert haben.

Die aus diesem Kosmos vom Komponisten für das Geburtstagskonzert selbst ausgewählten Werke umspannen den Zeitraum 1976 bis 2017, wobei die ältesten Stücke das Konzert eröffnen und beschließen: Der Ouvertüre mit der 1982 in Innsbruck uraufgeführten und 1986 revidierten „Blechpartie im neuesten Geschmack“, deren Titel Schwertsiks ironische Skepsis gegenüber allen musikalischen Moden verrät (und die der Komponist selbst als „reine Kasperlmusik“ bezeichnet), steht am Ende mit der „Twilight Music“ ein Zeugnis seines liebevollen Interesses für überlagerte und vergessene Schichten unseres musikalischen Erbes gegenüber. An zweiter Stelle verordnet uns der Komponist eine Art therapeutischen Intermezzos: Die „Längsten 10 Minuten“ mussten zuerst in Liverpool überstanden werden, und Schwertsik beruhigte damals: „Im Zuhören liegt immer ein Risiko, aber ich habe jede Möglichkeit einer ernsten Verletzung sorgfältig vermieden. Im Gegenteil: Ich bin sicher, Ihre Gesundheit wird durch das Hören der ‚Längsten 10 Minuten‘ gestärkt.“

Im Zentrum des Programms stehen dann – als jüngste Beiträge – zwei Beispiele vokaler Kammermusik, eines sonst oft nur stiefmütterlich behandelten Genres, das in Schwertsiks Œuvre jedoch einen überaus wichtigen Platz einnimmt. Die in dieser Gattung erreichbare Symbiose von Dichtung und Musik stellt wahrscheinlich den originellsten und kostbarsten Beitrag des „Abendlands“ zum Weltkulturerbe dar, und die beiden Dichter, die in dieser Hommage zu Wort kommen – Theodor Kramer und Julian Schutting –, belegen Schwertsiks Vorliebe für unpathetische Schlichtheit und eindringlich-schnörkellose Prägnanz. Kramers gerade durch ihr Understatement erschütternde Verse und die zarte Poesie von Schuttings eindringlichen Sprachbildern haben in Schwertsiks musikalischer Nachdichtung, die weit mehr als eine „Vertonung“ ist, eine vertiefende Widerspiegelung gefunden.

„Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.“

Hölderlins Zuversicht ist auch im Schaffen Kurt Schwertsiks auf beglückende Weise bestätigt worden.
Dass jemand inmitten einer vom Widerstreit der Ideologien zerfurchten Welt abseits aller Dogmata eine weithin verständliche, aber doch urpersönliche Sprache finden kann, mutet auf den ersten Blick wie eine Utopie an; dass sie in Schwertsiks Kompositionen hörbare Wirklichkeit werden darf, ist ein Geschenk, an dem wir uns noch lange erfreuen wollen.

Sonntag, 23. November 2025

Ensemble Kontrapunkte
Gottfried Rabl
I Dirigent
Josipa Bainac I Mezzosopran
Georg Nigl I Bariton

Kurt Schwertsik zum 90. Geburtstag

Kurt Schwertsik
Blechpartie im neuesten Geschmack, op. 43
The Longest 10 Minutes, op. 98
„Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan“ für Bariton und Ensemble, op. 103
„Ein taubenspäter Nachmittag“ für Mezzosopran und Ensemble, op. 118
Twilight Music. A Celtic Serenade for Octet, op. 30

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