Die Rückkehr einer Symphonie
Von Domagoj Marić
23.10.2025
Die Beziehung der wohl bedeutendsten kroatischen Komponistin Dora Pejačević (1885–1923) zu Wien war alles andere als einfach. Als Angehörige des Adels war sie in ein familiäres Netzwerk eingebettet, das eng mit dem habsburgischen Zentrum verbunden war. Mitglieder ihrer Familie, insbesondere ihr Vater und ihr Großvater, bekleideten hohe politische Ämter im damaligen Kronland Kroatien und zeigten unerschütterliche Loyalität zum Wiener Hof. Zahlreiche Begegnungen zwischen Teodor Pejačević, dem Vater der Komponistin, mit Kaiser Franz Joseph I. sind historisch belegt. Auch ihre Mutter, Elisabeth, geborene Vay de Vaya, stand dem Hof nahe – nicht nur als Hofdame von Kaiserin Elisabeth, sondern auch als leidenschaftliche Musikerin. Beim letzten Besuch Franz Josephs in Zagreb trat sie als Mezzosopranistin auf und sang Arien aus Bizets „Carmen“. Der betagte Monarch soll ihr persönlich zur Darbietung gratuliert haben.
Bereits dieser kurze Einblick deutet auf den prägenden Kontext im Leben von Dora Pejačević hin. Die Zugehörigkeit zum Adel bestimmte ihr gesamtes musikalisches Schaffen von früher Kindheit an, in der sie mit erstklassigen Musiker:innen der gesamten Monarchie in Berührung kam. Den Großteil ihrer Kindheit verbrachte Pejačević in ihrer Geburtsstadt Budapest, in der Andrássy-Straße, wo sich noch heute das bedeutende Opernhaus des damaligen zweiten Zentrums der Doppelmonarchie befindet. Gustav Mahler wirkte in dieser Zeit am nahegelegenen Opernhaus. Auch wenn es keine Bestätigung dafür gibt, dass das Mädchen einige seiner Aufführungen besucht hat, äußerte sich Pejačević in vielen ihrer erhaltenen Briefe und Postkarten stets positiv über Mahler. Der Einfluss Gustav Mahlers lässt sich dazu in Pejačevićs Kompositionen kaum überhören – besonders in ihren späten Werken.
Die prägendste Figur im Leben von Dora Pejačević war zweifellos ihre Mutter. Elisabeth (genannt Lilla) Pejačević, eine bemerkenswerte Frau mit vielfältigen Talenten, war weit mehr als nur eine Adelige an der Seite eines Politikers. Sie war das Rückgrat der Familie, Motor der gesellschaftlichen Aktivitäten und eine souveräne Begleiterin in der politischen Karriere ihres Mannes. Lilla war regelmäßig bei gesellschaftlichen Anlässen präsent – sei es als Sängerin, Pianistin oder Rezitatorin. Ebenso trat sie als Komponistin in Erscheinung. Auch Doras jüngere Schwester Gabrielle versuchte sich in jungen Jahren im Komponieren. Später jedoch erklärte sie, dass sie sich bewusst dagegen entschieden habe – da sie am Beispiel ihrer Schwester gesehen habe, wie steinig der Weg einer Komponistin sein kann. Dass in einer Adelsfamilie am Rand der Habsburgermonarchie gleich mehrere Frauen komponierten, ist nicht nur eine familiäre Kuriosität – es ist ein kulturhistorisches Unikum im europäischen Kontext.
Doch Komponieren war im 19. Jahrhundert eine Domäne der Männer. Auch Dora Pejačević musste dies schmerzlich erfahren. Dass ihre Mutter selbst komponierte und ihre Werke dank des aristokratischen Hintergrunds der Familie in repräsentativen Sälen Kroatiens erklangen, gab Dora einen starken Antrieb. Aber bei der ersten Aufführung ihres wichtigsten Werks – der Symphonie in fis-Moll, die Dora Pejačević ihrer Mutter gewidmet hatte – im Jänner 1918 im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, musste sie zwei große Zugeständnisse machen.
Das erste Zugeständnis war, dass – entgegen der ursprünglichen Ankündigung – nicht das komplette, aus vier Sätzen bestehende komplexe Werk gespielt wurde, sondern lediglich zwei weniger anspruchsvolle Mittelsätze. Ein erhaltener Brief zeigt, wie sehr diese Entscheidung die Komponistin traf. Warum das Werk nicht vollständig aufgeführt wurde, bleibt jedoch unklar. Die Tagespresse lieferte mehrere Erklärungen: Die Notenkopisten seien durch den Ersten Weltkrieg in ihrer Zahl stark dezimiert und mit anderen Aufgaben ausgelastet gewesen. Zudem habe die Zeit für die Proben aller vier Sätze gefehlt, und das Konzertprogramm unter Leitung des tschechischen Dirigenten und Komponisten Oskar Nedbal sei bereits sehr voll gewesen. Neben zwei Klavierkonzerten – Beethovens Fünftem und Liszts Erstem – sowie der Ouvertüre zu Mozarts Oper „Le nozze di Figaro“ blieb kein Raum mehr für eine spätromantische, groß angelegte Symphonie.
Das zweite Zugeständnis war noch gravierender: Der Name Dora Pejačević konnte im Konzertprogramm nicht vollständig genannt werden, aus Angst, das Publikum könnte ein symphonisches Werk von einer Frau boykottieren. Infolgedessen taucht in keiner der wenigen erhaltenen Kritiken zu diesem Konzert ihr Name auf. Alle Kritiken lobten jedoch das neue Werk, und sie berichten von der großen Überraschung des Publikums, als sich nach den beiden gespielten Sätzen eine junge Frau auf der Bühne verbeugte.
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts traten Komponistinnen aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen hervor. Pionierinnen wie Dora Pejačević tragen maßgeblich dazu bei, dass die Zahl komponierender Frauen seitdem stetig wächst. Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Erforschung von Leben und Werk Pejačevićs ist, dass Frauen ihrer Zeit, die komponierten, meist noch andere Hauptberufe hatten – etwa als Musiklehrerinnen, Pianistinnen oder Geigerinnen – und nur gelegentlich komponierten. Bei Dora Pejačević war das anders: Sie war nicht in erster Linie Pädagogin oder Interpretin, sondern ausschließlich Komponistin. Dies belegen auch amtliche Dokumente, in denen sie ihren Beruf eindeutig als „Komponistin“ angibt.
Der emotionale Gehalt, die musikalischen Entwicklungen und der Reichtum an Klangfarben, nicht zuletzt durch den Einsatz einer riesigen Orchesterbesetzung, machen die Symphonie zu einem wirklich interessanten Werk. Sie ist angenehm für Ohr und berührend, komponiert in der sehr persönlichen Sprache dieser Komponistin.
Es verging mehr als ein Jahrhundert, bis Dora Pejačević und ihre Symphonie wieder im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins erklingen. Dieses Mal wird die Komponistin mit vollem Namen gewürdigt – und ihr Werk wird vollständig aufgeführt. Das lange Warten hat sich gelohnt.
Dienstag, 11. November 2025
Gewandhausorchester Leipzig
Andris Nelsons I Dirigent
Augustin Hadelich I Violine
Johannes Brahms
Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 77
Dora Pejačević
Symphonie fis-Moll, op. 41